Abgesetzt im Nirgendwo, entsetzte und mitleidige Gesichter im Bus – Hvítárnes (ISL-5)
- Hardy
- 13. Apr. 2022
- 5 Min. Lesezeit
Blog 5: 18.07.18 - Der Morgen startete 7:30 Uhr, da wir das erste Mal seit unserem Start wieder Strom hatten, waren alle Akkus und die Kamera aufgeladen. Auch die körperlichen Akkus konnten sich bei einer erholsamen Nacht wieder füllen. Etwas abseits vom Hauptzeltplatz hatten wir einen schönen Spot für unser Zelt gefunden. Das Frühstück war sehr entspannt, das tägliche Kochen des Frühstücksbreis mit Zucker und 2 Cappuccino oder Tee gehörte nun schon zur täglichen Routine.
Die Sachen gepackt und auf zur Bushaltestelle, wer lange rastet, der Rostet. Um 9:00 Uhr war Busabfahrzeit an der Tankstelle. Da begann die Fahrt nach Hvítárnes am Hvítárvatn. Hier begegneten uns auch wieder die 9 deutschen Mädels der Pfadfindergruppe, die am Tag zuvor einen riesigen Topf Glasnudeln kochten und auf einem mehr als krummen Aluminiumdeckel Würstchen brieten. Natürlich in ultrakurzen Jeansshorts, man muss bedenken, dass es nachts und morgens ziemlich kühl und Regen ein Dauerbegleiter war … nicht die erste, auch nicht die letzte Begegnung.
Die Fahrt ging erstmal bis Geysir, die erste Pfadfinderin musste nach 10 min schon wieder aus dem Bus zum Pullern, der Fahrer wollte nicht anhalten, gab den Hinweis, dass bald eine Raststation komme … vielleicht die erste Blasenentzündung? Als sie ihm erzählten, dass eine von ihnen brechen müsste, hielt der Bus rasant. 30 min Pause in Geysir - Zeit, die sich lohnte, den einzigen aktiven Geysir, den Stokkur in Aktion zu sehen. Alle 5 -10 min bricht dieser aus, ein Grund für die Touris mit aktiviertem Handy vor der Nase im Anschlag am Geysir zu stehen und das in Massen ☹. Wahrscheinlich sahen einige das Spektakel nur durch ihren Bildschirm. Dieser Heißwassergeysir hinterlässt bei seinem bis zu 35 m hohen Ausstoß auch einiges an Wasserdampf und Spritzer, also Achtung, wo ihr euch hinstellt, der Wind könnte eine entscheidende Rolle spielen. Der größte Geysir des Landes, nach dem die Geysire auch benannt sind, liegt direkt daneben, sein Ausbrechen ist eine Seltenheit. Er blubbert nur entspannt vor sich hin.
Die nächste ungeplante Attraktion auf unserem Weg zum Wandereinstieg hieß Gullfoss (goldener Wasserfall), ein 2-stufiger Wasserfall (11 & 24 m). Dieser Wasserfall wird durch mehr Wasser als die Niagarafälle gespeist. Es gibt einen großen Parkplatz, eine Aussichtsterrasse und Wege am Wasser entlang. Auch hier hatten wir wieder 30 min. Auch hier Touris über Touris, sprach man jemanden an „Could you take a picture of us please?“, antworten diese „Kein Problem“ … so viele Deutsche … Der Stokkur und Gullfoss gehören zu der typischen Islandrunde „Golden Circle“, die in fast jedem Reiseangebot für Island angeboten wird. Wir können sie auf jeden Fall empfehlen, kommt aber nicht zu spät.
Nach dem Gullfoss endete die gut ausgebaute Asphaltstraße plötzlich. Ein Polizeifahrzeug kontrollierte, dass keine 1-achsangetriebenen Fahrzeuge die Piste befahren. Denn diese ist ausschließlich für 4x4 Fahrzeuge. Wird ein Fahrzeug erwischt oder bleibt hängen, drohen saftige Bußgelder. Die schlaglochreiche Schotterpiste „Kjölur“ schüttelte uns ziemlich durch. Der Bus fuhr schon sehr langsam, aber die Autos (Jeeps) noch langsamer. Seinen Privat-PKW möchte ein Deutscher hier wohl nur ungern durchschicken. Die Temperatur im Bus stieg rasant an, der Busfahrer und sein Adjutant fanden die Lüftung nicht oder war sie einfach nur kaputt? Die Notausstiegsluken im Dach wurden aufgeschlagen. Auf der Piste ging es bis zu einem Flussarm des „Hvítárvatn“ und einer Bushaltestelle mitten im Nirgendwo, an der wir als einzige ausstiegen. Alle schauten uns an wie Außerirdische, es wollte wohl niemand tauschen. Die Blicke hinter den Scheiben waren ungläubig, ja das Mitleid sprang schon fast aus ihnen heraus, als sich die Türen schlossen.
Ab diesem Punkt begann unser 2. Trail. Hatten wir den ersten noch aus dem Steiner-Wanderführer, vertrauten wir nun einer Marco Polo-Topempfehlung. Zuerst galt es eine relativ abwechlungslose 8,5 km Schotterstraße einer Schotterwüste entlang eines Gletschers und seinem See bis Hvítárneszu laufen. Der Blick in die Ferne, über den See hinaus und die Berge verzückte uns, der zu gehende Untergrund eher weniger. Die vierte Gabelung links, bei uns eher die dritte, hatten sich die Autoren vielleicht verzählt, hatten sie bei dem spannenden Weg vielleicht geschlafen oder war es gar der falsche Plan? Wir waren trotz unserer großen Rucksäcke sehr schnell, nach 1,5 h war das Zwischenziel erreicht. Ein kleines Haus, dass auf dem Gelände eines alten Bauernhofs gebaut wurde. Es war das erste menschliche Zeichen, dass uns auf diesem Wanderweg begegnete, einen Menschen hatten wir noch nicht gesehen, was sich vorerst auch nicht ändern sollte. Der Sage nach spukt immer noch nachts die Bäuerin mit ihren rasselnden Wassereimern durch das Haus und wirft die Gäste aus dem ersten Bett an der Küche. Man kann also auch hier einen Zwischenstopp einlegen, wenn einem der Weg zu weit vorkommt.
Für uns ging es weiter für die nächsten 16 km durch isländisches Ursprungsland oder wir nannten es einfach die 6-spurige Schafsautobahn, eine absolute Einöde. Es passierte nichts. Entlang des Flusses und den großen Weidewiesen trafen wir nur einige Schafe und Vögel. Nach dem ereignis- und abwechslungsreichen Laugavegur doch etwas langweilig für uns. Daher wurden die Schafe zu extrem spannenden Fotomotiven für Sarah. Es artete schon fast in einer Freundschaft aus. Kurzzeitig überlegten wir sogar, den jährlichen Motivkalender nur mit Schafsbildern zu füllen.
Die Beschreibung des Reiseführers hatte viel versprochen, weshalb wir uns für diesen Trail entschieden. Doch uns stellte sich immer mehr die Frage, ob der Autor sonst nur über Wiesen oder durch Wälder geht, was hat ihn hier nur so beeindruckt? Sarah´s Motivation sank, die Ausblicke veränderten sich über weite Strecken kaum. Sarah ging zu einem standardisierten Folgeabstand von einem Meter zu meinem Rucksack über. Wir hätten wohl ein normales Tafellineal zwischen uns stecken können, weder wäre es heruntergefallen noch eingeknickt. 😊 Dafür wurde jede Richtungs-änderung mit Blinkgeräuschen und Richtungsangabe mit den Händen zur Seite förmlich bejubelt und gefeiert. Wir waren darauf erpicht, die Laune hochzuhalten. Natürlich war es landschaftlich ein Genuss, aber nicht direkt nach dem vielbelaufenem Laugavegur. Die ersten Verschleißerscheinungen unseres Materials machten sich nun auch bemerkbar. An meinem Rucksack hatte sich durch das Geholper der Fahrt ein Loch gebildet. Dafür entwickelte ich bald einen Masterplan, den es in den nächsten Tagen noch zu lesen gibt. Auch die erste durchgelaufene rechte Socke galt es zu verkraften. Diese Socke hinterließ auch gleich noch ein paar Blasen am Haken, etwas, worauf wir im Hinblick auf die nächsten Tage gerne verzichtet hätten. Wie gut, dass wir das erste Mal überhaupt Blasenpflaster dabei hatten.
Nach etwa 5 h Laufzeit erreichten wir das Tagesziel, einen „kostenfreien“ Zeltplatz und das auf Island! 😊 Wir trafen auf ein österreichisches (aus dem Gasteiner Tal) und ein schwedisches Pärchen, eine Schweizerin und Familie Knartsch, wohlgemerkt die ersten Menschen auf diesem Weg an diesem Tag. Für uns fast eine menschliche Überforderung 😊. So hatten wir bei gekochter Tomatensuppe als Vorspeise und Reis mit Stroganov bzw. Nudeln mit Bolognese nette Gesprächs-partner und spannende Eindrücke anderer. Schließlich ist man hier unter seines gleichen und kann von anderen nur lernen. Nach einer Katzenwäsche lernten wir noch die beiden Schweden kennen, beide starteten bei einem Trailrace von Landmannalaugar nach Thorsmörk (55 km), der nur ein paar Tage vor unserer Begehung des Laugavegurs stattfand. Er landete auf Platz 2 (4:30 h), sie auf Platz 7 (Damen 6:00 h). Großer Respekt, da hatten sie sich das Schlafen in der Hütte redlich verdient, sie luden uns auch ein, doch wir schliefen lieber im Zelt für uns. Die Chance, unsere Sachen bei ihnen im beheizten Haus aufzuhängen, nutzten wir trotzdem gerne.
Der Tag endete nach 24,5 km und wenigen Höhenmetern, mit leichtem Nieselregen und der nervtötenden Isomatte von Familie Knartsch aus dem Nachbarzelt. Anscheinend konnten sie bei ihrer Hightechausrüstung einfach nicht lange auf einer Stelle liegen. Ansonsten waren sie mit Hillbergzelt, Leki-Stöcken, Mammut-Kleidung und La Sportive Bergsteigerschuhen mehr als überqualifiziert für diesen Trail ausgestattet. Da hat wohl jemand am falschen Ende gespart 😉.
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