Verregnet in der Kulturhauptstadt Europas 2019 – Plovdiv (BUL)
- Hardy
- 31. Mai 2021
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Juni 2021
28.05.2021 – Die ganze Nacht trommelte der Regen auf das Dach, so dass wir uns schon freuten, dass es pünktlich zum Frühstück aufhörte. So waren wir es jedenfalls bisher gewohnt. Doch so richtig gut sah das Wetter für 1400 hm nicht aus. Die Bergspitzen befanden sich alle in Wolken und nach den Spanienerfahrungen ließen wir es einfach.
Die Umplanung fiel nicht schwer, denn wir tauschten einfach die Tagesinhalte und an unserem Ziel für morgen soll es sonnig/bewölkt und 24 °C werden. Das klang besser als 14 °C und Regen. So machten wir alles abfahrbereit und uns auf in Richtung Süden. Es wird eine Hin- und Rückstrecke von je 65 km, leider lässt es sich nicht besser in die Route integrieren. Eigentlich wollten wir auch gar nicht dorthin, doch jeder empfahl uns diesen Ort.
Es war Plovdiv und Lonely Planet schreibt: „Die zweitgrößte Stadt Bulgariens hat eine bezaubernde Altstadt, ein wiederbelebtes Künstlerviertel und nach Sofia das aufregendste Nachtleben des ganzen Landes zu bieten. Im Zentrum der Stadt auf sieben Hügeln stehen noch viele alte Gebäude, die modernen Einkaufsstraße führt an einer Moschee aus dem 15. Jh. und dem römischen Stadion aus dem 2. Jh. vorbei, in dem heute wieder Konzerte stattfinden.“
Bis zum Stellplatz direkt am 2000 m Start der Regattastrecke und an einem Hotel regnete es durchgängig. Doch dann lichtete sich der Himmel und wir schnappten uns die Räder. Internationale Regattastrecken haben den Vorteil, mindestens einseitig, manchmal auch beidseitig eine Asphaltspur zu haben. Heute arbeitet man zur Liverennübertragung mit Drohnen oder Skycams, früher musste ein Bullifahrer das richtige Gefühl im Fuss haben, damit der Kameramann stets die Spitze des Feldes vor der Linse hatte. Hier in Plovdiv gibt es sogar einen Radweg in beide Richtungen rund um die Regattabahn, welcher vorbei am ziemlich maroden Fußballstadion direkt in die Stadt führt. Plovdiv hat sogar ein richtiges Fahrradnetz mit Stadt- & Routenkarten. Wir fuhren von Route 20, über die 19 und anschließend der 2 direkt ins Zentrum auf nur 5 km.
In der örtlichen Touristeninfo versorgten wir uns mit Stadtplan und Infomaterial, da das Mapsfahren in einer Stadt doch ziemlich anstrengend ist. So besuchten wir den kreativen Stadtteil Kapana, hier findet man ganz viele kleine Bars, Cafés und alternative Läden. An jeder Ecke findet sich ein Hingucker … mal sind es hausgroße Graffitis oder kreative Holzbauten. In der Altstadt haben wir wieder die schon für die Zeit um 1830 bekannten Häuser und Hausbemalungen gesehen. Die teilweise herrschaftlichen Häuser mit attraktivem Garten haben meist direkt einen Versammlungsraum hinter der Eingangstür mit Loungesesseln. Auch in Plovdiv sind sie sehr schön restauriert.
Auf dem Weg zum Ausgrabungsfeld sprach uns dann eine Bulgarin auf Deutsch an, was wir hier suchen würden, wir wären Faschisten und wenn wir weiter gehen würden, wären wir schuld daran, dass sie keine Kinder bekommt und auf diesem Wege würde man infiziert ... Wir ordneten sie als verwirrt ein, doch ihr Blick war sehr gruselig, vor allem dass sie uns einfach auf Deutsch anspricht.
Die Ausgrabungsstätten liegen erhöht, so dass man einen guten Blick über die Stadt hat. Als Städtetourer schaut man sich ja meist nur die schönen, bzw. die prägnanten Plätze an, doch dieser Platz zeigt die ganze Stadt. So erhält man auch einen Blick in ein Stadtviertel, auf das Plovdiv nicht stolz ist. Im Viertel … hat sich eine Parallelkultur & -welt entwickelt. Hier wohnen Sinti, Roma und Zigeuner unter sich, die Chancen es von hieraus zu schaffen, sind leider sehr begrenzt.
Die Ausgrabungsstätten zeigen viele Verknüpfungen zu den Römern, gefühlt waren sie überall. So befinden sich in Plovdiv, übrigens die zweitgrößte Stadt Bulgariens, neben dem Komplex „Nebet Hill“, ein römisches Laufstadion, bei welchem nur noch der runde Teil der Tribüne vorhanden ist und geschickt in das Stadtbild integriert wurde. Es kann als virtuelles 3D-Stadion besucht werden. Es gibt ein großes Amphitheater an der biologischen und musikalischen Fakultät, wenn ihr Glück habt, hört ihr wie wir einer Opernsängerin beim Üben der höchsten Töne zu. Die Ausgrabungsstätten Odeon und römisches Form stehen zum Ansehen bereit, wenn auch mit Glasumzäunung.
Eine bulgarische Spezialität ist der Eintopf aus Tontöpfen. Nachdem wir uns etwa eine Stunde unter einem kleinen Vordach einer Moschee wegen eines extremen Platzregens mit schwerem Gewitter untergestellt hatten und durchgefroren waren, kamen wir dieser Spezialität nach. In einem Suppenladen holten wir uns eine traditionelle Hühner- und Tzipe (Innereien)-Suppe. Dazu gab es ein Art Käseomelett, Milchreis und traditionellen Kuchen. Pappsatt, wieder etwas aufgewärmt und getrocknet ging es weiter in die Stadt. Jeder Versuch, unter dem Vordach hervor- und in ein Geschäft zu rennen, hätte mit einer Komplettdurchfeuchtung geendet.
Auf dem Boulevard sprach uns plötzlich ein Mann an, woher wir kämen. Er war total happy, jemanden aus Deutschland zu treffen und bat uns, seine Gäste zu sein. Er hieß Josef und ist Arzt, arbeitete in Wien, Regensburg, den Staaten und kam immer wieder zurück zu seinen Wurzeln. Er hat mit einem bekannten Arzt in Regensburg zusammen gearbeitet, der ihn seinen kleinen Bruder nannte. Manchmal gibt es Zufälle, die total verrückt sind. Er wohnt in Czepelare … Czepelare ist der Ort, an dem Sarahs ehemaliger Arbeitgeber Atomic ein Werk betreibt. Ihren ehemaligen Chef, Chefchef und Bürokollegen haben wir diese Woche nur um einen Tag in Sofia verpasst. Doch sie wollten uns eine Führung im Werk vermitteln. Jetzt steht Josef aus Czepelare vor uns und lädt uns zum Mountainbiken ins Grenzgebirge zu Griechenland ein. Wie extrem Zufälle sein können, sieht man daran, dass Josef einen Lada mit der Aufschrift “Atomic, 8x Weltmeister“ mit Kristallkugelemblem fährt. Alles schreit also förmlich danach, nach Czepelare zu fahren, wir haben die Telefonnummer und Adresse von Josef, doch so würden wir weitere 80 km, also 145 km von unserer Route entfernt sein. So entschieden wir uns schweren Herzens dagegen. Hoffentlich war es kein Fehler.
Zum Abschluss besuchten wir noch einen Park (Tsar Simeon´s Garden) mit singenden Fontänen. Hört sich spektakulärer an, als es ist, doch der Park ist sehr schön. Wieder etwas durchgefroren ging es zum Polwan, dieses Mal auf der anderen Seite der Regattastrecke. Paddelten heute früh noch die Canadier Plovdiv´s, so waren jetzt die ganzen Kajakfahrer unterwegs und wer weiß, vielleicht kommen wir ja sogar mal paddelnd auf die Strecke zurück. Nach einem starken und heißen Kaffee und eingepackt in dicke Sachen traten wir den Rückweg zu unserem eigentlich heutigen Spot an.
Plovdiv können wir euch wärmstens empfehlen, dort fühlt ihr euch sicher wohl. Wir wären gerne noch länger und ausgiebiger durch die Gassen geschlendert und hätten an verschiedenen Orten verweilt. Doch das Wetter war uns heute nicht holt. Der Innenstadtbereich ist größtenteils verkehrsberuhig, was Fahrräder inkludiert. Das Motto als Kulturhauptstatt 2019 war übrigens „together“ … ein schönes Motto, klappt die Umsetzung nur oft nicht. Man merkt der Stadt förmlich an, was modernisiert und entwickelt wurde. Fast alle Straßenschilder sind neu und in Bulgarisch und Latain verfasst, oft erhält man noch Informationen über die jeweiligen Namen. Auch ohne Stadtplan kann man alle Sehenswürdigkeiten per Pedes an einem Tag erreichen, sie sind durch sehr viele Hinweisschilder ausgezeichnet.
Gut, dass wir diese Routenabweichung gewagt haben, wir hätten uns definitiv geärgert, wenn wir später erfahren und gesehen hätten, was wir verpasst hätten. Wenn wir gefragt würden, ob sich eher Sofia oder Plovdiv für einen Besuch eignet, empfehlen wir guten Gewissens Plovdiv.
Übrigens gibt es auch hier sogenannt Klekshops, da die Mieten in den Städten für Ladenbetreiber horend teuer wurden, haben sie die Keller- oder Halbkelleretagen für ihre Geschäfte angemietet. Sie verkaufen aus dem Fenster heraus, also wundert euch nicht, wenn ihr in Sofia oder Plovdiv Menschen seht, die knieend oder gebückt vor Kellerfenster stehen, etwas bezahlen oder reden.
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